Dreizehnte Etappe: Wetterchaos auf dem Waiau Pass Track
Das Wetter in Neuseeland kann Züge annehmen – ohne Worte. Doch von vorne.
- Tag 73-78
- Etappe: 79km (statt wie geplant 115km)
- Total: 2024km
Der Waiau Pass Track von St. Arnaud nach Boyle Village ist mit der Übersteigung des Waiau Passes – dem zweithöchsten Punkt des Te Araroa – landschaftlich eines der Highlights des Trails.
Allerdings stand der Abschnitt unter keinem guten Stern.
Schon seit einigen Tagen/Wochen wird davor gewarnt, dass auf einem Teil des Abschnitts, dem Sabine Circuit, sich viele Wanderer mit dem Norovirus infiziert haben und man extreme hygienische Vorsichtsmaßnahmen vornehmen bzw. die Hütten am besten komplett meiden solle.
Zudem klang die Wettervorhersage gar nicht verlockend: Massenhaft Regen, Sturm, sogar Schnee.
Für beides suchten wir in St. Arnaud das Visitor Center auf, um uns ein besseres Bild von der Situation machen zu können. Dort gab man uns mehr oder weniger in beiden Punkten Entwarnung: Es wurden schon seit einigen Tagen keine neuen Norovirus-Infizierungen gemeldet und die Wettervorhersage sei bereits seit einem Monat ähnlich schlecht – doch bisher berichteten alle von bestem Wetter auf der Strecke. Das wollten wir hören!
Am ersten Tag bis zur Upper Traverse Hut hatten wir wunderbar blauen Himmel und Sonnenschein und konnten den Weg in vollen Zügen genießen.
Als wir am nächsten Tag aufwachten, war der Himmel völlig verhangen und es nieselte… Da der kommende Abschnitt über den Traverse Saddle (1787 m) führt und wir dafür gute Sicht haben wollten (allerdings eher für die guten Fotos als für die notwendige Orientierung), liebäugelten wir bereits damit eine Nacht in der Hütte zu bleiben. Die Hütte liegt in einer malerischen Bergkulisse – anderenorts wäre sie als Luxus Alpine Lodge durchgegangen. Kein schlechter Ort für einen Tag Pause. Aber gegen späten Vormittag klarte es auf und so zogen wir doch los.
Das Wolkenspiel war zwar nicht ideal für DAS perfekte Foto, aber die Landschaft und der Ausblick waren nicht minder beeindruckend.
Nach der Passüberquerung führte unser Weg zur Blue Lake Hut entlang des reißenden Sabine Rivers durch Wald, in dem riesige blanke Felsbrocken lagen. Ich wunderte mich, dass diese Felsen so sauber und eisgrau waren, denn viele andere Felsen waren komplett bemoost. Es stellte sich später heraus, dass sich diese Felsbrocken durch das große Erdbeben im November gelöst hatten und ins Tal gefallen waren! Da wird einem schon etwas mulmig… Leider hatte ich beim Vorbeigehen keine Bilder gemacht, da ich die bemoosten Waldabschnitte viel schöner fand.
In der folgenden Nacht regnete es ununterbrochen. Und Wandern bei Regen heißt
- kein Spaß
- keine atemberaubende Aussicht
- keine beneidenswerten Bilder
- mit viel Pech auch noch nasse Klamotten am nächsten Tag; und
- schwierigeres Terrain (rutschiger Boden, schlechte Sicht und so)
In dieser Reihenfolge.
Also stellte sich am nächsten Morgen gar nicht die Frage, ob wir weiterlaufen und den Waiau Pass überqueren. Natürlich nicht!
Gegen Mittag legte sich der Regen und drei aus unserer Hütte (Felix, Ned und Brian) beschlossen die Überquerung des Passes zu wagen. Jan, Stev, Amélie und ich wollten lieber einen Tag in der Hütte warten, ob es am nächsten Tag besser aussehen würde (laut Wettervorhersage sollte es zwar schneien – aber man weiß ja nie…).
Eine Stunde später fing es erneut an wie aus Eimern zu gießen und hörte den gesamten restlichen Tag nicht auf! Glück gehabt! Und es gibt wahrlich Schlimmeres als bei einem warmen Feuerchen in einer Hütte zu sitzen und Wraps auf dem Ofen zu rösten (ok, einen Wrap pro Person – mehr sieht die Tagesration nicht vor).
Wir lagen schon in unseren Betten (ok, daraus waren wir den ganzen Tag kaum herausgekommen), als wir draußen Stimmen hörten und drei Gestalten völlig durchnässt hereinschneiten. Brian, der im Kilt wandert, war sofort zu erkennen. Und die anderen beiden waren tatsächlich Felix und Ned – die zehn Stunden nachdem sie losgewandert waren, wieder zurückgekehrt sind!
Die drei sind über den Pass gestiegen. Auf der anderen Seite flossen durch den Regen zig Bäche den Berg herunter. Sie haben sich so weit durchgekämpft, bis sie am Fuße des Berges auf einen Fluss stießen, der durch den Regen so sehr angestiegen und so reißend war, dass er unpassierbar war und sie sofort mitgerissen hätte. Das Wasser stand ihnen auf ebener Wiese teilweise bis zur Hüfte, so dass sie unmöglich irgendwo ihr Zelt hätten aufschlagen können. Die einzige ihnen verbleibende Möglichkeit um zu überleben (!?!) war den gesamten Weg über den Pass noch einmal zu nehmen und zur Hütte zurückzukehren!!! Zum Glück haben sie noch rechtzeitig diese Entscheidung getroffen und hatten noch genügend Kraftreserven, um die Überquerung ein zweites Mal zu schaffen!
Es ist schwer in Worte zu fassen, wie krass der Regen die Flüsse hat anschwellen lassen und wie gefährlich es hier von einem Tag auf den anderen werden kann.
Es regnete und stürmte die ganze Nacht durch. Unsere Entscheidung war klar: Den Waiau Pass Track würden wir nicht zu Ende gehen können. Es war nicht absehbar, wann die Flüsse wieder auf ein passierbares Level gefallen sein würden – und es sollte einige Flussüberquerungen auf der anderen Seite des Passes geben. Für Brücken gibt es zumindest auf dem Te Araroa kein Geld. Unsere Essensvorräte waren nur für zwei Extra-wir-sitzen-das-Wetter-aus-Tage kalkuliert. Also zurück nach St. Arnaud.
Jan und Stev brachen am nächsten Vormittag auf, um sich ein Bild von dem ersten großen Fluss auf dem Rückweg zu machen, den wir würden überqueren müssen: Auch dieser war zu einem reißenden, unpassierbaren Strom geworden. Es führte also kein Weg raus, weder vor noch zurück! Noch ein Tag in der Hütte…
Das Schwierige ist, dass man im neuseeländischen Hinterland nirgends Handyempfang hat. Somit lag uns weder eine aktuelle Wettervorhersage vor, noch konnten wir Kontakt mit anderen Wanderern aufnehmen, die eventuell mehr über die Beschaffenheit des Tracks wissen.
Ein regenfreies Zeitfenster am Nachmittag nutzten Amélie, Stev und ich um einen Spaziergang Richtung Waiau Pass zu machen um zumindest ein wenig der Landschaft gesehen zu haben, bevor wir am nächsten Tag den Rückweg antreten. Was für eine atemberaubende, wunderschöne Landschaft rund um den Lake Constance.
Die folgende Nacht war eiskalt. Das kann nur eines heißen: wolkenloser Himmel. Genau dieser zeigte sich uns am nächsten Morgen. Das brachte zumindest Stev und Amélie dazu sich umzuentscheiden und der Passüberquerung eine Chance zu geben. Aber Jans und meine Vernunftsentscheidung blieb unverändert: Es geht zurück nach St. Arnaud.
Nach zehn Minuten auf dem Rückweg und sehnsuchtsvollen Blicken in den blauen Himmel, brach es mir einfach das Herz, dieses picture-perfect Wetter nicht mit dem Aufstieg auf den Waiau Pass zu verbringen. Also kehrten wir kurzentschlossen um. Nicht ganz in Jans Sinne („Wenn wir den Pass zurückgehen müssen, war’s das mit dem TA!") – aber Vernunftsentscheidungen sind eben nicht in meinem Zuständigkeitsbereich.
Schaut Euch einfach die Bilder von der Passüberquerung an. Wahnsinn. Schöner geht es nicht.
Von den Überflutungen der letzten Tage war kaum noch etwas zu sehen. Schnell waren wir guter Hoffnung tatsächlich die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Der erste zu querende Strom war zwar bereits recht wild, aber ganz gut machbar. Wir feierten unsere erste echte Flussüberquerung – alles zuvor war dagegen eine leichte Aufwärmübung.
Dabei blieb es leider nicht. Mehrmals mussten wir Flüsse aus Sicherheitsgründen in einer Viererkette queren, da sie uns alleine – bzw. vor allem Amélie und mich – womöglich mitgerissen hätten. Bald machte das so gar keinen Spaß mehr. Kaum hatten wir einen Fluss durchquert, kam schon der nächste in Sicht, den wir nach einer passierbaren Stelle absuchen mussten. Von den überfluteten Wanderwegen ganz zu schweigen. Zu allem Übel war das Wasser eiskalt und die nasse Kälte kroch langsam aber sicher durch den ganzen Körper.
Wir wünschten uns die Nacht wieder in einer Hütte verbringen zu können, allerdings hieß das für diesen Tag 42km zurückzulegen. Die Flussüberquerungen fraßen so viel Zeit, dass wir um 15 Uhr immer noch 30km vor uns hatten…
Doch nach weiteren 10km wurden die Flüsse weniger und der Weg leicht und eben. Sollte wirklich alles gut gegangen sein? Noch waren jedoch nicht alle Flüsse hinter uns gebracht…
Gegen halb acht näherten wir uns dem Ada River. Schon von Weitem hörten wir ihn. Kein gutes Zeichen. Als wir näher kamen, sank unsere Hoffnung in den Keller: Der Fluss war einige Meter breit und floss sehr schnell. Wir versuchten eine geschlagene Stunde den Fluss an den verschiedensten Stellen zu durchqueren. Aber er war einfach zu tief und die Strömung zu stark. Keine Chance.
Also was tun? Zelt aufschlagen und es am nächsten Morgen erneut versuchen? Und wenn der Wasserspiegel dann nicht gesunken war? Noch einen Tag warten? 30km zurück über den Pass laufen?
Das Glück war zumindest so weit auf unserer Seite, als dass direkt am Ada River das einzige Haus auf der gesamten Etappe steht. Zwar standen überall “Betreten verboten”-Schilder, die uns nicht gerade ermutigten um Hilfe zu bitten, aber was soll’s. Ohne einen aktuellen Wetterbericht fühlten wir uns wohler auf einem Grundstück zu zelten, als auf einer Wiese, die vor einem Tag noch unter Wasser stand.
Wir trafen an der Farm einige Leute an, die zum Glück einwilligten, dass wir auf der Weide unsere Zelte aufschlugen. Zudem wollten sie uns am nächsten Morgen über den Fluss helfen. Das klang doch mal vielversprechend!
So polterten wir am nächsten Morgen mit dem Jeep runter zum Ada River. Leider war nichts zu machen: Der Fluss war auch für den Jeep zu tief.
Aber die Kiwis wären nicht das netteste Volk der Welt, wenn sie sich nicht auch in diesem Moment als die unvorstellbarsten Retter in der Not erweisen würden:
Die Ranch gehört Chris und Jill, die nur einige Tage im Jahr dort verbringen und aufgrund einer großen anstehenden Pferdeauktion just an diesem Tag mit ihren Kindern und Enkeln angereist waren (wie viel Glück kann man eigentlich haben?!?). Nach dem missglückten Überquerungsversuch ließen sie uns erstmal bei einem heißen Kaffee an ihrem Kamin aufwärmen (hab ich schon erwähnt, dass wir uns ganz leicht unwohl fühlen, dass wir nach sechs Tagen ohne Dusche – sagen wir mal – “streng” riechen könnten?). Dann fuhr uns Chris 30 lange Buckelpistenkilometer raus aus dem Tal und übergab uns an seinen Freund Ally, der uns weitere 30km in den kleinen Ort Hanmer Springs brachte, von wo aus man recht einfach an den eigentlich Endpunkt der Etappe bzw. Startpunkt des nächsten Abschnitts per Anhalter fahren kann.
In Hanmer Springs angekommen konnten wir endlich wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen. Es stellte sich heraus, dass der kommende Abschnitt des Trails dreimal so viel Regen abbekommen hat wie der letzte, und so wie viele weitere Teile des Te Araroa zur Zeit nicht passierbar ist. Heißt also erstmal: Zwangspause, bis sich die Wetterlage beruhigt hat.
Jan und ich sind daher nach Christchurch gefahren und überlegen von hier, was wir die unverhoffte Off-Trail-Woche anstellen. Erstmal vor allem unsere Essensgelüste stillen. Meine sehen so aus: